Skip to main content
30. September 2022

Der Baum oder Strauch an der Grundstücksgrenze: Des einen Freud, des anderen Leid

Jedem Grundeigentümer ist es grundsätzlich gestattet, auch an der Grenze seines Grundstücks zum Nachbargrundstück Bäume und Sträucher zu pflanzen.

Quelle: https://pixabay.com/de/photos/architektur-einfamilienhaus-h%c3%a4user-3383067/

Was aber, wenn es im Zuge des Wachstums beim Nachbarn zu einem starken Überhang kommt oder sich die Wurzelausläufer am Grundstück des Nachbarn ausbreiten und sich diese Ausbreitung kaum mehr bekämpfen lässt?

Der OGH ist in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (10 Ob 22/21i) bei seiner bisherigen Rechtsprechung geblieben, dass ein Grundstückseigentümer das Herüberwachsen von Ästen und Wurzeln vom Nachbargrundstück entweder hinnehmen oder diesen selbst im Rahmen seines Selbsthilferechts nach § 422 ABGB (Abschneiden von überwachsenden Ästen und eindringenden Wurzeln) auf eigene Kosten entfernen muss. Dabei ist aber fachgerecht vorzugehen und die Pflanze möglichst zu schonen.

Darüber hinaus hat der Nachbar den durch einen Überhang entstehenden Bewuchs - unbeschadet seines Selbsthilferechtes - wie die natürliche Umgebung hinzunehmen und hat keine Möglichkeit, ein auf sein Eigentumsrecht gestütztes Begehren zur Beseitigung des Überhanges durch den Eigentümer des Baumes oder Strauches zu stellen.

Das Recht des Grundeigentümers ist nämlich bezüglich der von Bäumen (oder Sträuchern) ausgehenden Beeinträchtigungen aus Rücksichten der Nachbarschaft nach § 422 ABGB beschränkt. §°422 ABGB ist eine gesetzliche Eigentumsbeschränkung des vom Überhang betroffenen Grundeigentümers, dem das Gesetz nur ein Selbsthilferecht gibt, aber (sonstige) Abwehransprüche und auch Beseitigungsansprüche versagt.

Nur unter strengen Voraussetzungen – wenn eine so genannte „unmittelbare Zuleitung“ vorliegt – gewährt der OGH einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gemäß § 364 Abs 2 oder 3 ABGB gegen den Nachbarn. Der OGH differenziert in diesem Zusammenhang zwischen dem Überhang und den Wurzelausläufern. Während der Überhang in der Regel keine konkrete Gefahr des Eintritts von Personen- oder Sachschäden darstellt, kann es bei anderen Pflanzenteilen unter Umständen zu einem gefährlichen Zustand kommen oder die ortsübliche Nutzung des betroffenen Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt werden.

Ist eine Entfernung der Wurzeln für den beeinträchtigten Nachbarn also nicht (leicht) möglich und hätte daher der Baumeigentümer seine Beseitigungspflicht erkenne können, weil er zum Beispiel dem entsprechenden Verlangen seines Nachbarn nicht nachgekommen ist, hat er auch jene Kosten zu tragen, die entstanden sind, um den schädigenden bzw konkret gefährdenden Zustand zu beseitigen.

Nach geltender Rechtslage besteht nämlich bei Erkennbarkeit der potentiellen Schädigung, also bei Rechtswidrigkeit, ein verschuldensabhängiger Schadenersatzanspruch gegen den Pflanzeneigentümer, wenn der betroffene Nachbar diese Wurzeln eben nicht durch eine leichte und einfache Ausübung seines Selbsthilferechts beseitigen kann.

Genauso wie Schädigungen des Nachbarn durch eigene gesunde Pflanzen zu Schadenersatzpflichten führen können, gibt es eine allgemein anerkannte Haftpflicht bei Schadenszufügungen durch kranke Bäume: Fallen – erkennbar - morsche Äste eines Baumes auf den Grund des Nachbarn und verursachen sie dort Schäden (an geparkten Autos, Zäunen, Gebäudeteilen uä), führt dies zu einer Haftung des Baumeigentümers und zwar überwiegend analog zu der an sich auf Bauwerke zugeschnittenen Sondernorm des § 1319 ABGB, die eine Einstandspflicht auch ohne (nachgewiesenes) Verschulden vorsieht. Bei Verschulden sind aber zugleich die allgemeinen Voraussetzungen des § 1295 ABGB erfüllt.

Abschließend noch zwei Sonderfälle: Wenn Pflanzenteile oder Äste in das öffentliche Gut hängen, kann der Straßenerhalter nach § 91 StVO vom Grundstückseigentümer die Beseitigung des Überhanges verlangen. Ebenso, wenn die Hecke sonst (etwa durch massive Sichtbehinderung) verkehrsbeeinträchtigend ist.

Kein Selbsthilferecht hat der Servitutsberechtigte wenn bei seinem Servitutsweg über ein Nachbargrundstück hineinragende Äste die Zufahrt behindern. In diesem Falle ist der Baum- / Heckeneigentümer verpflichtet, die Äste zur ungehinderten Ausübung des Servituts (Vermeidung des Zerkratzens des PKW) abzuschneiden. Das Recht zum Abschneiden der Äste hat der dadurch beeinträchtigte Nachbar nur auf Eigengrund. Schneiden Sie dennoch ohne Einverständnis des Nachbarn am Servitutsweg Äste ab, könnte der Nachbar sogar mit Klage vorgehen.

© 2024 Mieterschutzring. Alle Rechte vorbehalten.